Zum Obermenü 1916
Version 1.0 Gerhard - Hermann Kuhlmann, November 2005

Ein zweiter Feldpostbrief vom selben Tag an dieselbe Adresse

Briefstempel „I. l.M.K. Res. Feldart. Reg. No. 14“
II

Ich wünsche, daß wir es ermöglichen könnten, im Verlauf dieses Monats dort oben im Norden einen gewaltigen Vorstoß zu unternehmen. Dieses allein würde die Gewißheit haben, die Front um einen großen Teil zurückzubiegen. Verdun. Schlüssel von Frankreich sicher alles Blech. Schützengräben lassen sich überall machen. Ein Schützengraben von einigen 100 m Länge hat größeren militärischen Wert wie ein starkes Fort. Vor mir liegen sichtbar 4 starke Forts von Marre. Antworten schon lange nicht mehr. Nur noch wüste zerschossene Bodenerhebungen. Unsere l.M.K. und die Batterien der I. Abtlg. stehen seit Wochen in leidlich ausgebauten Stellungen am Maaskanal und an der Maas selbst, zwischen Sivrys und Consenvoyl. Hinter uns die Kronprinzenhöhe. Bei guter Sicht sehe ich von hier aus etwa 20 bis 30 km Schlachtfront, vom Argonnerwald bis Douaumont. Eine solch ruhige Stellung, wie sie hier früher gewesen, wird sich wohl kaum auf der übrigen Schlachtfront finden. Nach Beurteilung der Geschoßeinschläge im Boden möchte ich wohl behaupten, daß in unserer früheren Stellung zehn mal so viel geschossen wurde. Und jetzt? Die Gedärme von Menschen und Pferden hängen oben in den Baumkronen.
Unsere 3. Batterie hat jetzt 32 Mann Verluste vor Verdun. In Feuerstellung befinden sich etwa 45 Mannschaften *(.....) bei einer Batterie. Artillerie - Lebensversicherung! Dörfer ... Lixur (?)** nicht einmal Ruinen zu erspähen, um sie der Nachwelt zeigen zu können. - Wüste Steinhaufen Staub. - Mein persönliches Befinden, wie Du anfrägst, läßt nichts zu wünschen übrig. Ohrausfluß nach Lazarettbehandlung nicht wieder vorgekommen. Der Jude hat seine Sache doch wohl gut gemacht.*** Dienst bei der Kolonne gefällt mir außerordentlich gut. Besteht vorwiegend im spazierengehen. Außerdem macht Boelke vor unseren Augen täglich die schärfsten Sturzflüge und schießt dabei mit Maschinengewehr in die Maas, sodaß Wasser fontäneneartig aufspritzt. Ein ganz toller**** Kerl.

Herzlichen Gruß

Fritz

*

**

*** Offenbar hatte man in der Familie Ihle Zweifel daran geäußert, daß die Behandlung durch einen jüdischen Arzt Fritz' Ohrausfluß heilen könnte. (ghk)

**** Die Wahl des Adjektivs "toll" soll vielleicht auch Bewunderung für eine außergewöhnliche Handlung ausdrücken, aber sicher nicht nur. Im zwanzigbändigen "Großen Meyer", den Fritz besaß, heißt es zum Begriff "Tollheit": "Tollheit, soviel wie 1) das Tollsein, d. h. rasend, unbändig, unvernünftig sein, daher auch Tollhaus, soviel wie Irrenhaus; 2) T. soviel wie Tollwut.

(Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig und Wien 1905, Bd. 19, S. 596) (ghk)