24. Januar 1917

Liebste Martha!

Für die nächste Zeit ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Post recht lange ausbleibt. Seit zwei Tagen heftiger Artilleriekampf, morgen Angriff unsererseits. Hoffentlich glückt‘s. Viel Zutrauen habe ich allerdings nicht zur Sache, da mit dem Angriff zu lange gewartet und der Russe Verstärkung herangezogen. Ziel - Riga. Nur Mut, die Sache wird schon schiefgehen.* Witterung verhältnismäßig recht günstig um für die nächsten Tage unter freiem Himmel zu kampieren.

Nur wenige Grad Kälte.** Hoffentlich hat also der Himmel in dieser Sache ein Einsehen, ich besitze nämlich nur einen dünnen Staubmantel. Die Aussicht, daß es Dir glückt zum 1. Februar Stellung zu bekommen, scheint leider nicht sehr groß zu sein. An Urlaub ist vorläufig auch nicht zu denken ich würde dann mit Frl. Kötter schon einig werden, daß sie in Stellung bliebe, während Du als Hausfrau neben ihr ständest. Ich halte es für sehr angebracht gute Bücher über landw. Haushalt zu lesen. Einstweilen laß Dir von meiner Schwester das ihr von mir zugesandte Buch über landwirtschaftliche Buchführung geben. Lies dieses Buch zwei bis drei mal durch und teil mir bitte mit, ob Dir dann die einfache Buchführung vertraut ist. Für die Kriegszeit für Dich als wesentlich zu beachten die einwandfreien Eintragungen im Kassabuch und die richtige Führung des Naturalienbuches für den Haushalt. Alle andere ergibt sich von selbst und bietet keine Schwierigkeit. Wir wollen also vorläufig daran festhalten, daß beim nächsten Urlaub wir uns trauen lassen. Verloben geht selbstverständlich nicht unter diesen Umständen.
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Kein .... binnen einer Stunde aus dem Junggesellenverhältnis in den Ehestand ohne daß ein dritter etwas davon merkt. Ist Dir das recht? Darfst natürlich keinem zweiten davon erzählen. Alles natürlich vorausgesetzt nach Lage der Verhältnisse, die ich bei meinem Urlaub vorfinde! Auch für den Fall, daß Du inzwischen Stellung angenommen, muß, wenn notwendig, das Dienstverhältnis abgebrochen werden. Ich bitte Dich, zu diesen meinen Ansichten im nächsten Schreiben Stellung zu nehmen. In herzlicher Liebe grüßt Dich tausendmal Dein Fritz

*Die Eroberung Rigas gelang erst am 3. September 1917, nach dem Scheitern der Kerenski-Offensive. (ghk)

** Der ungewöhnliche milde Winter 1917 im nördlichen Ostseeraum hatte nach Ansicht des britischen Historikers Orlando Figes auch einen entscheidenden Einfluß auf den Verlauf der demokratischen Februar Revolution in St. Petersburg. (1914 umbenannt in Petrograd) Orlando Figes: Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution 1891 - 1924. Berlin 1998 (ghk)

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Version 1.0 Gerhard - Hermann Kuhlmann, November 2005