Laß den Kaiser reisen

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und so könnte es gewesen sein .... am letzten Tag des Jahres anno domini 1888

Laß den Kaiser reisen von Siegfried Dierker


Nachdem das Diner mit einem vorzüglichen Zitronensorbet abgerundet worden war, hatten sich die vier Herren zu Cognac und Zigarre in die Bibliothek zurückgezogen und ihren Frauen den Wintergarten überlassen, wo der Mokka gereicht wurde. Die Bibliothek war das wahre Refugium des Grafen von Bendlitz, fern von den alltäglichen Problemen, die die Bewirtschaftung seiner Güter mit sich brachte oder den Sorgen seiner Gattin, ob der neue Hut nicht zu ausladend sei. Hier konnte er in aller Ruhe über die politischen Geschehnisse im Reich nachdenken oder, wie heute, am Silvesterabend des Jahres 1888, mit guten Freunden ein kleines Spielchen wagen und dabei die Ereignisse der letzten Tage, Wochen und Monate diskutieren.

Während der Graf den goldbraun schimmernden Cognac in vier bauchige Gläser einschenkte, wanderten seine Gedanken zurück zu jenem Tag im März, als die Nachricht vom Tode des Kaisers Wilhelm I. eintraf. Sicher, der Kaiser war hochbetagt, aber dennoch traf von Bendlitz die Meldung wie ein Schock. Und als wenige Wochen später auch der Nachfolger, Friedrich III., verschied, war dem Grafen klar geworden, daß eine Epoche zu Ende gegangen war. Der neue Kaiser, Wilhelm II., war erst 29 Jahre alt, und mit ihm würde es eine Reihe von spürbaren Veränderungen im Reich geben.

"Wie werden wir die Stunden bis Mitternacht verbringen?" fragte Rittmeister von Walz und reihte Goethes ‘Wahlverwandtschaften’ wieder in das Bücherregal ein. "Wie wäre es mit einer Partie Whist oder Ekarté?"

Der Graf reichte erst ihm, dann seinen anderen Freunden, dem Geheimrat von Warthenberg aus dem Kriegsministerium und dem Bankier von Cornelsen, den Cognac. Er hob sein eigenes Glas und brachte einen Trinkspruch aus.

"Auf unseren jungen Kaiser!"

Die anderen erhoben sich, der Rittmeister knallte sogar die Hacken zusammen, prosteten dem Grafen zu und antworteten im Chor.

"Auf unseren jungen Kaiser!"

Sie nahmen einen Schluck und stellten die Gläser auf dem runden Tisch mit einer grünen Filzdecke ab.

"Ein außergewöhnlich guter Tropfen, mein lieber Graf", sagte Geheimrat von Warthenberg. "Woher beziehen Sie Ihren Cognac?"

"Aus einer kleinen Destillerie bei Aigre", lächelte der Graf verschmitzt. "Übrigens ein Folge unseres erfolgreichen Feldzuges von 1870/71."

"Gott, ja", murmelte von Cornelsen, "das waren noch glorreiche Zeiten." In seine Augen trat ein eigenartiges Leuchten. "Sedan, Paris, was für Erfolge!"

"Und nicht zu vergessen: Versailles!" warf der Geheimrat ein. Und fuhr mit trauriger Stimme fort: "Armer Wilhelm! Jetzt ist er nicht mehr."

"Unser junger Kaiser macht doch einen hervorragenden Eindruck", sagte der Rittmeister. "Seine Reisen zum Zaren und zum König von Schweden oder nach Italien und an den Wiener Hof waren doch durchweg erfolgreich!"

Graf von Bendlitz hielt plötzlich inne. Er ging zu einem kleinen Schränkchen, öffnete eine kunstvoll verzierte Schublade und entnahm ihr eine fast quadratische Schachtel, die er auf den runden Tisch legte.

"Wie wäre es mit einem kleinen Spielchen, Rittmeister?" fragte der Graf. "Mal etwas anderes als immer nur Karten!"

Die vier Männer umringten den Tisch und betrachteten die Schachtel. Der Rittmeister fuhr mit dem Finger über die Zeichnungen, die den Deckel verzierten.

"Das ist ja unser junger Kaiser", rief er erstaunt und deutete auf das Bild in der Mitte. "Und hier ist Zar Alexander, König Humbert von Italien, und das hier Franz-Joseph von Österreich." Sein Finger bewegte sich im Uhrzeigersinn um das Bildnis von Wilhelm II. herum.

"Ein neues Spiel?" fragte von Cornelsen und fingerte bereits in seinen Westentaschen nach einem möglichen Spieleinsatz.

"Es ist erst vor wenigen Tagen erschienen", antwortete der Graf, öffnete die Schachtel und fuhr verschmitzt lächelnd fort: "Wir können den Kaiser nochmal reisen lassen, von einem Hofe zum nächsten, und wetten dabei, welcher Regent am besten abschneidet."

"Gemacht!" rief Rittmeister von Walz, warf eine Silbermünze auf den Tisch und zog einen Stuhl heran. Er setzte sich, blickte forsch in die Runde und lachte herausfordernd. "Mein Einsatz auf unseren Kaiser. Wer hält dagegen?"

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Das Original-Brettspiel "Kaiserreise Wilhelm II." erschien im Jahre 1888 und beruht auf den zwei Reisen von Wilhelm II. im Juli und September/Oktober des gleichen Jahres an die wichtigsten Höfe des europäischen Festlandes.

1997 hat das Deutsche Historische Museum in Zusammenarbeit mit Kuhlmann-Geschichtsspiele Hannover das Spiel als originalgetreue Replik neu aufgelegt.


Man kann es im Museumsshop des Deutschen Historischen Museums in Berlin im alten Zeughaus, Unter den Linden 2, erwerben.