Version 1.0 Gerhard - Hermann Kuhlmann, März 2006
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(Vielleicht ist dieses nicht datierte Fragment 1917 einzuordnen, ich vermute allerdings eher, daß es in eine Zeit gehört, in denen Fritz an verlustreichen Kämpfen teilnahm, also 1915 an der Aisne oder 1916 vor Verdun.ghk)

(Anfang fehlt)

die Regimentsmusiker spielen die flottesten Märsche und die modernsten Walzer (unleserlich) und nebenan werden Soldaten begraben. Es sähe bös aus, wenn der Humor schwinden würde.

Es sei Dir hiermit bekannt, daß jedes Regiment ob aktiv, Reservisten, oder Landwehr jetzt eine eigene Kapelle besitzt, zusammengestellt aus Berufsmusikern. -- Du gehst weiterhin in Deinem Schreiben auf eine eventuelle Absicht meinerseits den Tötehof zu verkaufen ein und hältst diese Idee für Wahnsinn. -- Ist er gleich Wahnsinn, so hat er doch Methode, nämlich die, mich wirtschaftlich in eine weit bessere Lage zu bringen. Die (unleserlich) Gründe lasse ich dann natürlich fallen, handelt es sich nach diesem Kriege um große Gebietserweiterungen z.B. im Osten, so wird dort mit wenig Geld viel zu machen sein. Ich kenne die Verhältnisse dorten. Die Arbeitsverhältnisse sind ganz besonders günstig und werden auch so bleiben, während sie im Westen Deutschlands sich dauernd verschlechtern. Der Gedanke als größerer Gutsherr zu fungieren, ist mir auch früher schon immer sehr sympathisch gewesen. Auf dem Tötehof ist es sehr interessant, aber die (unleserlich)kosten stellen sich bei diesen Wirtschaftshöfen zu hoch. Entweder ganz klein, ohne viel fremdes Personal, oder eine größere Wirtschaft. Nicht um jeden Preis, der günstige Zeitpunkt ist abzuwarten. Für weitere Neuigkeiten, die ich in Deinem Brief vorfinde, danke ich herzlich. Der Amtsrat ist ein ganz höflicher Knabe, die jüngste Tochter ist ja schon vor längerer Zeit Mutter geworden, wie eine Anzeige in der Tageszeitung meldet. Sehr verlockende Aussichten für die zukünftige Wehrmacht* unseres Volkes. Nur weiter so. -- Dieser Brief wird dem Radfahrer heute am Sonntag nachmittag 2 1/2 Uhr zur Weiterbeförderung nach Fl___(unleserlich) mitgegeben.

Bitte mir mitzuteilen, wann derselbe dort ankommt! Ich grüße vielmals Dich und Schwesterlein.

Dein Fritz

Daß Fritz zu irgendeinem Zeitpunkt es für erwägenswert gehalten hat, den angestammten Tötehof zu verkaufen, widerlegt die mündlichen Familienüberlieferung und ist von Ursula Finne und mir mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen worden. Fritz war kein Abhängiger von Familientradition sondern ein betriebswirtschaftlich rechnender Mensch; kein Bauer, sondern ein Bürger mit landwirtschaftlichem Beruf.

Der ironische Ton des Schreibens, eindeutig eine Antwort, deutet auf ein Nicht Einverstandensein in politischen Fragen mit der Adressatin, das wir in den Briefen von 1918 nicht mehr finden. (Bis dahin ist es offenbar durch längere Gespräche während der Heimaturlaube zu einer sehr weitgehenden Übereinstimmung gekommen.)

Fritz ist der chauvinistische Zeitgeist zuwider. Flotte Musik und alltägliches Sterben, Ironisierung des Sittenverfalls während des Krieges zum Vorteil des Wachstums der wehrfähigen Bevölkerung. Vom gewonnenen Krieg will er aber offenbar profitieren. Vielleicht will Fritz seiner Freundin aufzeigen, daß konservative Traditionswahrung und anexionistische Kriegsziele sich ausschließen, daß ein "Siegfrieden" für jemanden, der Familientradition wahren will, gar nicht wünschenswert sein kann. (ghk)

* Der Begriff taucht im Grimmschen Wörterbuch für die ältere Zeit nur zweimal auf, im zwanzigbändigen "Meyers Konversationslexikon" von 1905 bis 1912 fünfzehn mal, ohne eigenes Stichwort. Im ersten Weltkrieg wird der Begriff allgemein und 1933 zur neuen amtlichen Bezeichnung für die Reichswehr.